Skulpturprojekte Münster 2017: Kapitel II

„After ALife Ahead“ (Nach einem K-Leben vor dem, was kommt) von Pierre Huyghe, ehemalige Eissporthalle, Steinfurter Straße 113. Der Künstler hat die kurz vor dem Abriss stehende Eissporthalle in eine neue begehbare Stätte verwandelt. Hier treffen unterschiedliche Organismen aufeinander und beeinflußen sich gegenseitig. Entstanden ist eine Biosphäre, auf die man sich erst einlassen muss. Übrigens: die toten Fliegen auf dem Bogen gehören zum Kunstobjekt und werden vom Künstler extra gezüchtet, wie man mir sagte. Interessant.

Meine Reise durch die Skulptur-Projekte Münster geht nun weiter. Im ersten Teil meines Berichts habe ich einige Informationen dazu zusammengestellt und ein paar Skulpturen vorgestellt (hier). Nun möchte ich Euch weitere Überraschungen dieser Kunstausstellung nicht vorenthalten.

Die Skulptur-Projekte sind 1977 entstanden. Der Grund dafür war, die Münsteraner für die zeitgenössische Kunst zu begeistern. „Angeblich“ konnten die Münsteraner damit früher nichts anfangen, was heute kaum vorstellbar ist. Gesagt, gemacht! Es wurden Künstler nach Münster eingeladen. Sie erkundeten die Stadt und suchten sich einen Ort für ihre Ideen aus. Zusammen mit der Leitung der Skulptur-Projekte wurde dann überlegt, wie die zum Teil unrealisierbaren Vorstellungen Realität werden können. Und so läuft es bereits alle zehn Jahre, bis heute. Denn die Skulptur-Projekte finden alle zehn Jahre statt und zählen inzwischen zu den weltweit bedeutendsten Ausstellungen.

„Sculpture“ von Barbara Wolff und Katharina Stöver, Aegidiikirchplatz, auf dem Parkplatz des Oberverwaltungsgerichts. Für die Skulptur Projekte wurde in direkter Nähe zur Altstadt ein knapp acht Meter hoher Giebel errichtet, dessen gekachelte Fassade die marode Terrassenanlage des Schlosses abbildet sowie die Stützen, die diese Terrasse vor dem Einstürzen bewahren. Die Skulptur wirkt auf den ersten Blick hochwertig und massiv, entpuppt sich allerdings als Druck auf dünnem aluminiumbasierten Plattenmaterial. Man kann die Skulptur auch betreten.

Während der Skulptur-Projekte kommen sehr viele Besucher aus aller Welt in die Stadt. Für mich blüht die Stadt in dieser Zeit so richtig auf. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich Ansammlungen von Menschen sehe, die an einer Skulptur stehen, miteinander im Gespräch sind, Fotos machen, lachen, fluchen oder einfach mal ihre Picknickdecke aufklappen, das Baguette und den Wein aus der Tasche holen und sich der Kunst aus einer etwas gemütlicheren Atmosphäre nähern. Warum nicht? Wenn´s einem tieferen Verständnis von Kunst hilft…Gerade da liegt der Reiz von Kunst im öffentlichen Raum: man muss nicht ins Museum oder in eine Galerie gehen. Und man darf sich den Skulpturen – anders als in einem Museum – nähern, indem man sie zum Teil auch anfassen darf. Also, ein Spaß für Groß und Klein.

„Sketch for a Fountain“ ( Skizze für einen Brunnen) von Nicole Eisenman, Promenade, Am Kreuztor. Ein Brunnen mit großen Figuren aus Bronze und Gips, die alles Andere als Grazie oder Anmut ausstrahlen. Sie sind nackt. Ihre Körperhaltung ist unperfekt. Ihr Geschlecht ist nicht eindeutig. Die ganze Szenerie ist zwanglos und vermittelt Ruhe und Gelassenheit. Mehr Informationen zu dieser beeindruckenden Skulptur hier. Nach aktuellen Meldungen wurde in der Nacht vom 19. Juli auf den 20. Juli einer Skulptur der Kopf abgeschlagen. Nach Absprache mit der Künstlerin wurde die beschädigte Stelle ausgebessert. Der Kopf wurde aber nicht mehr rekonstruiert.
„The Archer“ von Henry Moore „wohnt“ in der Berliner Nationalgalerie. Zurzeit wird diese umgebaut. Daher darf das berühmte Kunstobjekt im Rahmen der Skulptur-Projekte in Münster stehen und bewundert werden. Nicht wundern! Neben der Skulptur steht ein Lastwagen mit einer schwarzen Umzugskiste mit dem Aufdruck „Fragile“ für „zerbrechlich“, was das Kunstwerk von Henry Moore ja definitiv nicht ist. Alles gehört zusammen und stellt so wieder ein Kunstobjekt dar.
„Privileged Points“ (Beliebte Stellen) von Nairy Baghramian, Erbdrostenhof (Vorplatz und Hinterhof). Es ist ein langer Wurm, der sich aus mehreren Bauteilen zusammen setzt. Ein Teil ist schwarz lackiert, der andere weiß. Ein Teil ist vor dem Erbdrostenhof platziert, der andere auf dem Hinterhof. Die Künstlerin wird alle Teile erst dann zusammen setzten, wenn und falls das Kunstwerk verkauft wird. Dieses Vorgehen gehört zum Konzept dieser „unfertigen“ Skulptur. Die Schönheit und die Vollkommenheit des Erbdrostenhofs werden dadurch meiner Meinung nach in Frage gestellt. Wie wird das Kunstobjekt aussehen, wenn es zusammen gebaut ist? Genau so perfekt und vollkommen wie der Erbdrostenhof?

„How to Live Together and Sharing the Unknown“ von Koki Tanaka, Johannisstraße 18/20, gegenüber dem Aegidiimarkt. Koki Tanaka veranstaltete 2016 Workshops zum Thema “ Provisorische Studien: Workshop #7 Wie zusammen leben und das Unbekannte teilen“. Er brachte unterschiedliche Menschen zusammen und ließ sie darüber diskutieren, wie das „Zusammenleben“ geht. Die Gespräche und der Meinungsaustausch fanden in unterschiedlichen Situationen statt: im Auto, in einem Bunker, beim Laufen und im Sitzen. Die Doku-Filme kann man sich auf Sofas ganz bequem anschauen. Dabei sollte man ein wenig Zeit mitbringen. Auf den Plakaten draußen sind Gemeinschaftsräume abgebildet. Und auch in den Räumlichkeiten weist alles auf ein gemeinschaftliches Leben hin. Nicht verpassen!
„A Work in situ“ von John Knight, Landesmuseum für Kunst und Kultur, Domplatz 10. Der Künstler hat sich den Neubau des LWL-Museums ausgesucht und bringt dort, an der Spitze, eine überdimensionale Wasserwaage an. Frei nach dem Motto: steht das Gebäude gerade, hm? Ist alles ausbalanciert? Wurde korrekt gearbeitet? Finde ich persönlich spitze die Idee! Von mir aus soll die Stadt Münster oder das LWL-Museum dieses Kunstobjekt erwerben und als Erinnerung an die Skulpturprojekte 2017 für immer hängen lassen. Damit der Münsteraner auch in dreißig Jahren weiß, dass das Gebäude ausbalanciert ist.

2 Gedanken zu „Skulpturprojekte Münster 2017: Kapitel II“

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